Wiederveröffentlicht: Rezension zu Carolin Callies

 (NACHTRAG: Inzwischen ist die Plattform fixpoetry als Gründen mangelnder Finanzierung offline gegangen; die dort ursprünglich im Mai 2015 veröffentlichte Rezension wird deshalb hier im Beitrag eingefügt)


Anspruchsvoll/störend: Carolin Callies‘ Phänonomenologie der Sinne

Gedichte müssen nicht gefallen, sie sollten bewegen! Das sagt sich so leicht, wenn es um Emotion, Gedanken, um Geschichte geht. Aber wie ist es mit Spucke, Schweiß, Urin und sonstigem Glibber?

Wie gut, dass es auch andere Stimmen geben wird. Auf dass dem Lyrik-Debutband von Carolin Callies viel gradliniger, gehäufter und uneingeschränkter ein wohlwollende Aufnahme zukommen kann, als mir möglich ist. Denn eigentlich ist gar nichts auszusetzen: sowohl was die Dichte der Gedanken und Beobachtungen angeht, die Klangtiefe und -vielfalt der Verse (der Humor, der Ernst, die Selbstironie) als auch bezogen auf den  Anregungs- und Überraschungsreichtum der Sprache, immer dem eigentlichen, dem untergründigem, einem alten Wort-laut nachspürend. Da könnte ich sogar von „begeisternd“ sprechen.

Und doch: bis zum Gefallen reicht es nicht. Das wird wohl, so ungern ich es hier zugebe, eher an mir und meiner Fähigkeit, meinem Willen liegen, mich so sehr auf die Texte einzulassen, wie sie es brauchen und verdienen. Das zeigte sich mir schon beim ersten, dem programmatisch vorangestellten Text: „der körper ist ein geschichtenband“ … ein anregend-gehaltvoller Titel, raum- und gedankenöffnend. Auch die ersten zwei Zeilen der ersten Strophe kommen mir noch ähnlich willkommen heißend, als Handreichung und Einladung in eine Gedankenwelt entgegen:

hier liegt ein punkt, von dem gehen fünf finger los / & kehren nur noch drei zurück.

Bildlich war ich da angekommen beim Blick auf meine offene Handfläche und grübelnd darüber, , welches Symbol sich dadurch auszeichnet, zwei Finger ausgestreckt zu lassen (die Pistole, der AC/DC-Teufel mit eingeklappten Daumen, nicht: der Zeigefinder, nicht: der Fuck-You-Mittelfinger). Angeregt war ich zu einem Themenkreis des Verlorengehens (der Heimkehr der Verbliebenen – Überlebenden oder Gescheiterten), um dann in den nächsten zwei Zeilen allein gelassen, vor den Kopf gestoßen zu werden:

was allseits vom fuß in den magen geriet: / wir erzählen‘s im ziehn von tentakeln

Nicht die Bilder selbst waren es, die mich verwirrten (das etwas – unabhängig vom allseits – vom Fuß in den Magen geraten könnte, vermag ich mir vorzustellen,  ebenso das Ziehen von Tintenfischtentakeln), sondern das machte der Eindruck, dass mich der Text hier bewusst als Leser fallen lässt; er sich bewusst einer konsistenten, aufeinander aufbauenden, im Sinne eines Kameraschwenks verbundenen Bilderwelt verweigert. Ich sollte, so trat mir das Gedicht plötzlich gegenüber, mich schwertun, mich verlieren in Rätselworten und -collagen. Bewusst, so schien mir dann auch beim weiteren Lesen im Gedichtband, wollen Callies‘ Gedichte nicht einfach sein. Sie wollen erarbeitet werden oder anders: akzeptiert hermetisch bleiben … ein Geheimnis bewahren, eine eigene, sich erst spät oder gar nicht auftuende, Metaphernwelt seltsamer Beutel. Denn noch weiter ging es (zweite Strophe und abschließend, dritte Strophe):

& erzählen vom schweiß als vollem gefäß, / vom rausbrechen der fußstücke als leichtester übung./ wir trocknen die haut am stück / & hängen sie in beuteln auf, erzählen wir’s also in beuteln//

& wo landen die beutel, auf den abort geraten? / in der tonne, in ‘nem becher oder einem spucknapf gar? / in buchattrappen, vollen kehlen? Wir haun darauf. / im losen, glaub’s mir, hörn die geschichten tentakelärmlig auf.//

Persönliche Bekenntnisse mögen zwar in einer Rezension nicht recht passen, aber zur Erklärung meiner Schwierigkeiten mit Callies‘ Texten scheint es unerlässlich: Ich tue mich immer schwer damit, Bilder körperlicher Verstümmelung oder Versehrung (Folter, Krankheit, Tod) an mich heran, in mich hineinzulassen. Sei es in Filmen, in Büchern oder in Nachrichtensendungen – oder eben nun bei Callies (Rausbrechen von Fußstücken, der Körper als leerer oder schweißvoller Beutel, zerplatzend). Dass hier abgedruckte Eingangsgedichts ist noch ein eher schwaches Beispiel. Andere Gedichte sind wesentlich eindringlicher, konkreter in der Fassbarmachung von einem (normalen, alltäglichen, allgegenwärtigen) Siechtum. Damit kein falsches Verständnis aufkommt: Die kranken, die hässlichen Seiten der leiblichen Existenz sind keineswegs das Hauptthema oder der Grundtenor des Gedichtsammlung von Carolin Callies. Gegenständlich geht es „einfach“ um die normale klebrig-feuchte, geruchshaltige, sinnlich konkret erlebbar Seite der Existenz. Das steht schon im Titel des Buches „fünf sinne & nur ein besteckkasten“, der zugleich eine Inhaltsangabe über das Buch mit seinem sechs Kapiteln ist, in denen, soweit es sich klar voneinander abgrenzen lässt, das Riechen, Schmecken, Sehen, der Tast- und der Orientierungssinn und schließlich das Nachdenken darüber (sortierend) „verhandelt“ werden. Insofern steht ja schon auf dem Buch, was darin ist … nur wie nahegehend, wie herausfordernd und konfrontativ dies meine eigene (unbewusst-impulshafte, verdrängte?) Körperfeindlichkeit tangiert, das war nicht vorauszusehen.

Kurz gesagt: Callies legt mit ihrem Debut-Band eine Sammlung sprachlich-ästhetisch ansprechender, gehaltvoll durchgearbeiteter, bewusst schwieriger Gedichte vor, die mir (!) wegen ihrem mich (!) provozierend-verstörenden Gehalt nicht gefallen können, die ich (!) ungern an mich heran, ungern in mich (!) hinein lasse … aber gerade das macht sie (meine Widerstände reflektierend) auch besonders und empfehlenswert, verleiht ihnen Schärfe und persönliche Brisanz.

Carolin Callies (2015), fünf sinne & nur ein besteckkasten. Gedichte. Schöffling & Co., 111 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 18,95 € (D), ISBN: 978-3-89561-448-4



Wiederveröffentlicht: Rezensionen zu Björn Kuhligk und Maarten Inghels bei hochroth

(NACHTRAG: Inzwischen ist die Plattform fixpoetry als Gründen mangelnder Finanzierung offline gegangen; die dort ursprünglich im November 2014 veröffentlichte Rezension wird deshalb hier im Beitrag eingefügt)


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Zwei auf einen Streich – Björn Kuhligk und Maarten Inghels bei hochroth

Das vergleichende Besprechen von Lyrikbänden hat den Vorteil, dass das eigene Behagen und Unbehagen an einzelnen Texten besser illustrierbar wird. Was in dem einen Gedicht als misslungen erscheint, kann durch den gelungenen anderen Versuch, die andere Stimme klarer benannt werden – als durch den bloßen Verweis auf (notgedrungen) abstrakte Kategorien und allgemeine poetologische Beurteilungsmaßstäbe. Hier also nun: Björn Kuhligk und Maarten Inghels im Kontrast.

Da es mir – als dem Literaturbetrieb fernstehender Hobbyrezensent – zuweilen schwer fällt, angesichts der bloßen Autorennamen und Titelnennungen in Neuerscheinungslisten, im Voraus abzusehen, welche der neuen lyrischen Stimmen mich interessieren / begeistern könnten, lasse ich mir bisweilen ein Überraschungspaket zusenden. Im letzten derartigen Brief von fixpoetry waren gleich zwei … Heftchen aus der hochroth-Lyrikreihe: der 2013 erschienene deutsch-litauische Band „Ich hab den Tag zerschnitten“ des Berliner Lyrikers Björn Kuhligk und der Band „ Es gibt keine bellende Hunde mehr“ des niederländischen Dichters Maarten Inghels aus demselben Jahr.

Schon bei meiner zuvorigen (erstmaligen) Begegnung mit dem Veröffentlichungskonzept des hochroth-Verlages war ich begeistert: vom klar-minimalistischen Design, vom schwarzen, seitlich beschnittenen Umschlag mit einer runden Ausstanzung, von der (wie ich online nachlas) manuellen Herstellung der Hefte, vom A5-Format und vor allem vom geringen Umfang.

Für Gedichtveröffentlichungen – so scheint es mir – sind 20 bis 30 Seiten genau richtig … Lyrik lässt sich nicht auf Masse, seriell (hinter einander weg) lesen. Jeder Text verlangt zu sehr und zu berechtigt ein eigenständig-vereinzeltes Wahrnehmen, ein langes tiefes Durchatmen. Da stört, da irritiert eine Sammlung von über 100 Seiten: Das Gefühl – die Gewissheit – nicht allen Texten gleichermaßen gerecht werden zu können, sich im Lesen bald zu Erschöpfen prägt/gefährdet die Lektüre von vornherein. In dieser Hinsicht scheinen die schmalen Gedichtbände im hochroth-Verlag wie eine Befreiung, eine wohlwollende Einladung sich im Alltag öfter mal lyrisch begleiten zu lassen, nicht zuletzt motiviert durch den kleinen Preis und das  handliche Format.

Dass mir nun gleich zwei dieser Hefte auf dem Tisch landeten, erwies sich dann auch in einer anderen Hinsicht als Glücksfall: Ließ sich doch das schnell und intensiv auftretende Unbehagen mit den Versen des Einen auffangen und kompensieren durch die Freude mit den Gedichten des Anderen. Und vor allem, so schien mir plötzlich, würde mein Unbehagen plötzlich greifbarer, beweisbarer und nachvollziehbarer im Kontrast zur parallelen Begeisterung (die dann implizit, auch verdeutlichen würde, dass ich nicht per se Unmut äußere und Verdammung, sondern durchaus – unter bestimmten, benennbaren Bedingungen – des Lobes fähig bin).

Also offen und kurz gesagt: Während mich das Bändchen von Björn Kuhligk schnell zum Weglegen reizte, lud mich das Heft von Maarten Inghels je länger, je mehr zum Verweilen und Vertiefen ein (und füllte mich zugleich mit einem einzelnen Text derart aus und an, dass an ein sofortiges Weiterlesen kaum zu denken war). Kuhligks Gedichte erschienen mir flach und stereotyp, bisweilen sogar lyrisch falsch, wo sich mir in Maartens Texten glaubhaft einzigartige Situationen und Eindrücke entfalteten, um zugleich etwas Bewegend-Überraschend-Allgemeines anzusprechen.

Mein Unbehagen an Kuhligks Poetik dagegen nährte sich fast an jedem der elf (jeweils auch auf Litauisch abgedruckten) Gedichte. Die Verse, Stophen und Zeilenumbrüche blieben für mich oft nachklanglos und leer – vor allem wegen der vielen abgedroschene Bilder ohne erkennbare ironische Brechung wie z.B. im Titel gegebenden Gedicht  „Ich habe den Tag zerschnitten“. Das sind (wiedermal) „meine Lippen / zwei Pilger“ und „deine Füße / die verspielten Vögel“ und deuten so (für mich) statt auf ein Erleben auf eine ausgedacht-erwartungsbedienendes Wortkneten. Besondern fern, falsch und verräterisch erschien mir in selben Gedicht die Wahrnehmung (durch die Satzkonstruktion etwas verrätselt) „und zwei Augen deine Brüste / mit denen du mich liest“. Erkennbar wurde so für mich, wo DER SPRECHER dieser Verse seine Aufmerksamkeit und seine Augen hat und wie abgerückt er liegen muss, um die zwei Brustwarzen zugleich in den Blick zu nehmen (bzw. von ihnen gelesen zu werden).

Auch andere Gedichte demonstrieren, dass die Frauen (die Anderen) für das Ich der Texte eher Objekt als Subjekt sind („die Frau wärmt sich vor“, S. 14). Insbesondere am Gedicht über „Die sieben Geliebten“ lässt sich dies illustrieren. 

DIE SIEBEN GELIEBTEN // Die erste liegt / mir auf dem Schoß / vor blutigen Tagen // die zweite geht mir / stotternd aus dem Sinn / und bündelt die Jahre // die dritte ist ein Garten / entzündet von Vogelschreien // die vierte gibt es nicht // die fünfte sagt Liebe / und ich glaube es nicht // die sechste trägt / Kusskantaten auf der Brust // die siebte geht / und zerstört die Woche //

Der Text beinhaltet wenig mehr als eine Liste von Frauen (die Doppeldeutigkeit zu Wochentagen scheint mir allzu belanglos und nicht weit zu tragen), die da jemand hatte, als Anlass für eigene Lust und eigenes Leid und poetische Reflektionen darüber, die aber nicht durchgeführt, nur zweizeilig angedeutet werden, und vor allem keine Entwicklung / Veränderung des Ichs implizieren (warum er zum Beispiel solche Berge an Verflossenen hinterlässt).

Generell ist mein Problem mit Kuhligks Texten, dass ich ihm zwar glaube, dass das, was er dort beschreibt, ein reales Erlebnis oder eine gewesene Empfindung sein kann. Doch das lebt nicht, das atmet sich nicht für mich aus den Texten; es hat kein Geheimnis. So mag es die Russin aus dem Gedicht „Sie macht am liebsten Pasta“ wirklich geben, doch mehr als eine – unterschwellig furchtbar stereotype – Skizze über diese, eine Person kann ich nicht erkennen: nichts was auf etwas Allgemeines verweist in diesem besonderen Fall.

Wie anders, wie nährend, wie irritierend und beglückend sind dagegen die Themen und Verse von Maarten Inghels. Insbesondere das dreiteilige Gedicht „Ein Foto wurde gefunden, auf dem du lachst“ hat mich schnell für diesen Autoren eingenommen. Erst nach und nach enthüllt sich hier die Situation einer Totenwache, was dem sinierend-fragenden Monolog des lyrischen Ichs erst einmal ein beinahe irreales Schweben ermöglicht, in dem ich als Leser meine eigenen Anschlüsse / Assoziationen einpflege, was hier sein/passieren könnte – eine selbst hinzugesetzter Gegenhorizont der Textinterpretation, der durch die zunehmende (nicht als Clou oder düstere Pointe eingeführte) Verdeutlichung der Sprechersituation nicht verloren geht, sondern als weitere Ebene dem Text eingewoben bleibt. Dass so etwas gelingt, scheint mir eine besondere Fähigkeit des Autoren. Seine Verse (be-)rühren; sind auch ohne sofort erkennbare reale Verortung in mir (philosophisch interessierten, eher verkopften) Leser anschlussfähig; Wurzeln irgendwie in etwas von mir geteiltem, archetypischem. Zur besseren Erläuterung vielleicht: der Einstieg (die erste vier Verse von Teil I) in das gerade erwähnte mehrseitige Gedicht.

Wir können sagen, dass du immer noch / deinen Namen kennst. Ich vergesse / schon mal mein Alter, doch immer // kommt es in Schüben zu Bewusstsein: so alt / einerseits und mein Kopf weiß andererseits, / dass jeder mal länger zum Nachdenken // braucht. Das du so leben willst / in diesem furchtbaren Licht, wie ein Geist, / sagen mache. Doch ich meine, du seist eine // Puppe, die noch da ist, zu der gesagt wird: / Der Wahn des Tages, Namen, ein Vorfall im Bus – / aber immer kurz und schnell ein Kuss. //

Schon angesichts der einzelnen Verszeilen, der tieferweisenden Umbrüche, des sich schrittweise entfaltenden Bedeutungs-Kosmos könnte ich Schwärmen – wenn eine solche Behauptung von Leichtigkeit nicht grundlegend im Widerspruch stünde zum fesselnd-gedankenschweren Gang und Sog der (von Janet Blanken ins Deutsche übertragenen) Verse, die sich – und das ist als Qualitätsmerkmal gemeint – nicht auf einen einfachen Nenner bringen lassen. Man könnte sogar sagen, die Lyrik von Maarten Inghels ist derart dicht, dass die in dem hochroth-Bändchen versammelten vierzehn Texte fast zu viel sind, die Gefahr über die Begeisterung für den Einen, die Würdigung des anderen zu vernachlässigen schon zu groß …

Der Kontrast zu den Gedichten von Björn Kuhligks kann kaum größer sein (hier hätte ich mir letztlich noch mehr Texte gewünscht, in der Hoffnung auf eine besondere Nuance oder Entdeckung). Die Aufklärung dieser irgendwie fundamentalen Differenz beider Lyriker steckt für mich in einem weiteren Gedicht von Maarten Inghels, das als erster Text den hochroth-Band programmatisch einleitet, und den ich mir auf Kuhligksche Art gefühlt und formuliert zukünftig wünschen würde.

ACHTSAM // Der Dichter sollte immer darauf achten, / vor allem zärtlich zu sein. / Täglich für sie aus dem Himmel fallen wollen, / dafür sorgen, dass der Jazz seine Muskeln weniger stramm macht. // Er sollte immer darauf achten, dass / es ausreichend Ablenkung für / unser Herz gibt, wir die Verse des Dichters / noch in das Ohr einer Frau flüstern können. // Er sollte immer darauf achten, / manchmal schwach zu sein, / damit der Wind es von seinem Gehör gewinnt, ihm / Sätze einflüstert, womit er einen Körper // um seinen Finger baut. / Wonach der Dichter sagen kann: Oh, umarme mich, / so bald bin ich noch nicht vorbei.//


Maarten Inghels: Es gibt keine bellenden Hunde mehr. Aus dem Niederländischen von Janet Blanken. Tübingen: hochroth-Verlag, 2013, 28 Seiten, ISBN 978-3-902871-33-6, 6,00 €, http://www.hochroth.de/3124/es-gibt-keine-bellenden-hunde-mehr/

Björn Kuhligk: Ich habe den Tag zerschnitten / Es sagriezu dienu. Deutsch/Lettisch; übersetzt von Amanda Aizpuriete. Riga: hochroth-Verlag, 2013, 23 Seiten, ISBN: 978-9934-8383-0-9, 6,00 €, http://www.hochroth.de/3151/bjorn-kuhligk-poesietransfer/

Wiederveröffentlicht: Rezension zum Essayband "Irgendwas mit Schreiben. Diplomautoren im Beruf"

 (NACHTRAG: Inzwischen ist die Plattform fixpoetry als Gründen mangelnder Finanzierung offline gegangen; die dort ursprünglich im März 2014 veröffentlichte Rezension wird deshalb hier im Beitrag eingefügt)

Irgendwas aus meiner kleinen Welt.
Ex-Studierende reflektieren ihre Gegenwart

Als Florian Kessler seinen (ich sag mal: reißerischen) Essay zur Bedeutung von Arztsöhnen in der deutschen Gegenwartliteratur in der ZEIT vorab veröffentlichte, waren es nur neun weitere Beiträge, die in dem von Jan Fischer und Nicola Richter herausgegebenen e-book „Irgendwas mit Schreiben. Diplomautoren im Beruf“ bei mikrotext enthalten sein sollten. Jetzt – wo das Buch erschienen ist – sind es vierzehn Texte geworden, allesamt von ehemaligen Studierenden des „Kreativen Schreibens“ aus Hildesheim und Leipzig und alle – irgendwie – zu der Frage, wie es sich mit dem Schriftstellerdiplom in der Tasche so lebt. Da ist wohl von Mitte Januar bis mindestens März 2014 – irgendwie – bei weiteren Personen der Anreiz gewachsen, doch bei diesem Anthologie-Projekt mitzuwirken, und bei manchen Texten (vor allem dem von Stefan Mesch, indirekt auch bei Jan Kuhlbrodt), merkt man dies dann auch. Aber vielleicht täuscht das. Vielleicht stehen die Themen und Thesen, die Kessler in seinem eigenen – vorab schon so intensiv debattierten – Beitrag bearbeitet, einfach im Raum … unabhängig von seinen sprachlichen Zuspitzungen auf das Label „Speck-Lit“: Thomas Klupps satirischer Text einer allgegenwärtigen Unterwanderung und (feindlichen?) Übernahme des deutschen Literaturbetriebs durch Schreibschulabsolventen (Schreibschule immer & überall) kommt auch ohne die bildungsbürgerliche Ingroup-These Kesslers aus … und auch Stefan Mesch spricht auf sich und seine Freunde beim Journal BELLA triste bezogen davon, dass Ann Cottens Bezeichnung als „Hildesheimer Bubi-Mafia“ ganz passend sei …

Aber stopp! Es tut der jetzt erschienenen Textsammlung nicht gut, sie als weiteren Beitrag zu Florian Kesslers Polemik zu lesen. Diese ist zwar – unverändert gegenüber der Zeit-Publikation – in dem Band enthalten, aber gerade nicht als voranstehender Leittext und Bezugspunkt aller anderen, sondern als nur einer von vielen (der elfte von vierzehn) und als der, den man schon von woanders kennt. Wegen Florian Kesslers Beitrag muss man das Buch also nicht lesen oder kaufen. Wie sieht es also mit den anderen aus? Ein Überblick mit gerafften Einschätzungen:

Der erste Text im Band stammt von Jaqueline Moschkau und trägt den der Titel: „Vorwort zur literarischen Lebenskunst“. Die – auch im Ankündigungstext aufgebaute – Erwartung einer Einleitung in das Anliegen und die Struktur des Bandes wird allerdings enttäuscht. Zu lesen ist eine umständliche und unmotivierte Rezeption von Ansätzen einer Lebensphilosophie seit der Antike, deutlich in Nachfolge von Wilhelm Schmid, mäßig strukturiert durch übergroße Fragen wie „Was ist der Sinn des Lebens?“, „Was ist Glück?“, die schließlich – angeleitet durch ein Virgina-Wolff-Zitat, dass auch Dichter etwas essen müssen –bei einem Wunsch nach (Planungs-)Techniken der produktiven Verbindung von Gelderwerb und kreativen Freiräumen im Alltag landet. Zum Schluss folgt dann noch ein Sprung in kryptische Abstraktion, der einen – zusätzlich zu den grammatikalisch unklaren Sinnanschlüssen – hilflos aus dem Beitrag entlässt. Zitat: „Vielleicht ist eine Philosophie der (literarischen) Lebenskunst die Romantisierung, ja sogar Utopisierung der Theorie. Wohl eher ist es aber der Kompass, der – wenngleich mit zitternder Nadel – die etwaige Richtung in ein bejahenswertes Leben angibt.“ (S. 13 im PDF)

Danach kommt ein – wie sagt man es freundlich? – unförmig-waberndes Brainstorming von Stefan Mesch mit dem passend-selbstbezüglich-selbstreflevien Titel „Stefan Mesch ist krass drauf“. Die tragende Idee des Textes ist simpel: Hundert durchnummerierte Abschnitte (Sinneinheiten) in Form eines abwärtstickenden Countdowns aufeinander folgen zu lassen – irgendwie zum Thema „Wie ich – Stefan Mesch – leben will“ als Schriftsteller, Blogger, Rezensent usw. usf. Nach spätestens zwanzig „Sinneinheiten“ (bei Nummer 79 ungefähr: „Ich will keine Pflanzen. Ich will keinen Garten“) hat man es als Leser durchschaut und begriffen: Ok, das geht jetzt so weiter, noch weitere 24 Seiten additives Gelabber, manchmal sich sprachlich-poetisierend erhebend, manchmal auch einfach nur als Teaser und Linkverweis für das, was man anderswo von Stefan Mesch lesen kann. Neben der Link-Aufzählung von lesenswerten Beiträgen der Florian Kessler-Debatte (so scharfsinnig-sezierend wie der von Peer Trilcke ist wirklich keiner) und dem auch in anderen Texten wiederkehrenden Hinweis, dass Krankenversicherungen für freischaffende Schriftsteller/ Kulturjournalisten irgendwie ein Thema sind, konnte ich dem Text nichts entnehmen – außer einer zunehmenden Ablehnung gegenüber dem mir hier präsentierten selbstbezüglichen Typen, der alles möglich will und macht (was er will) und dann noch meint (so im Nachsatz in eckigen Klammern nach – endlich – Eintrag 001): dieser Text wäre es wert, „geteilt zu werden“, diesem – egozentrischen Labber-Typen würde man „auf Facebook folgen“ oder „im Jahr 2016 einen Roman von ihm kaufen“ wollen (S. 43 im PDF). Werbungen um Sympathie sehen anders aus: Hier sucht einer nach nichts als Verehrern, die naiv – kleingläubig – genug sind, aufgeblähte Arroganz und Ignoranz für den Beweis von Talent und Genie zu halten …

Anschließend trägt Thomas Klupp eine – im Kontrast zu Mesch prägnante, rasante und viel zu kurze – Kolumne bei mit den Kernthesen einer a) Desillusionierung der Suhrkamp-Bestseller-Schriftsteller-Träume für die Masse der Schreibschulabsolventen (als kollektiver Abstieg in die Niederungen des Realen) und b) des gerade deswegen unaufhaltsamen Sieges des Mittelmaßes im Literaturbetrieb, da die so von den goldenen Trögen vertriebenen Nachwuchsschriftsteller – notwendig – auf sonstigen Posten beim Verlegen, Besprechen und Bepreisen von Literatur ausweichen werden (etwas anderes „als irgendwas mit Schreiben“ können sie ja nicht). Die – sicherlich von Klupp nur ironisch als leuchtend bezeichnete Zukunft ist dann die der „Schreibschule für immer & überall“. Insgesamt ist dieser Text irgendwie nett, aber in der ironischen Zuspitzung zugleich seltsam wieder ingroup-mäßig leer und nichtssagend, weil entweder unempirisch-unreflektiert falsch (als gäbe es seit Gründung der Schreibschulen keine Germanistik-Studiengänge mehr) oder zu unernst, ich- und risikolos. Wenn es nämlich wirklich eine Unterwandung bestimmter (sicherlich nicht aller) Bereiche des deutschen Literaturbetriebs durch Schreibschul-Netzwerke geben sollte, dann wäre Thomas Klupp ein wesentlicher mitverantwortlicher Akteur und nicht, wie die scheinnaive Sprecherhaltung im Text suggeriert, ein passiver Nutznießer oder opportunistischer Mittäter …

Der Beitrag von Sina Ness danach ist – bei allem Spott und aller Fabulierlust – erholsam klar und ehrlich: Endlich gibt hier jemand glaubhaft unverstellt Auskunft über die aktuelle Lage seiner Träume als Schriftsteller zu leben – oder genauer gesagt – der Beschwernisse, Einschränkungen und Perspektivverschiebungen, die es dabei bedeutet, Mutter zu sein. Allerdings, so unterhaltsam-persönlich und zugleich literarisch-verspielt dieser Beitrag auch ist, seine „Botschaft“ ist ziemlich klein und knapp: Kinder machen das Bücherschreiben nicht leichter, geben aber gerne Feedback zur sichtlichen Erzähllust der Autorin. Zitat des Schlusssatzes (ursprünglich in Klammern): „Mama, deine Geschichte hat mir so gut gefallen, dass ich fast eingeschlafen bin!“ (S. 54 im PDF)

Mirko Wenigs Text „Aus dem Alltag eines Fast-Food-Journalisten“ fällt ebenfalls in die Kategorie „Im Zweifel lieber spaßig“. Nach seinem Schreibschul-Studium hat er scheinbar einen Posten als Wirtschaftsjournalist bei einem Online-Portal gefunden und – nunja – die Art des dort verlangten Schreibens ist doch recht fern von seinen literarischen Ambitionen oder auch seiner lebensnahen Empathie (z.B. einer Aufmerksamkeit für tote, von Würmern zerfressene Igel). Durch den angeschlagenen Tonfall – einem umständlich-naiven Welterklärungston gegenüber Kleinkindern (z.B.: „Manchmal ist der kleine Mirko ganz toll traurig.“, S. 59 im PDF) – wird die inhaltliche Selbstoffenbarung allerdings sofort negiert und zurückgenommen. Denn natürlich ist der wirkliche Mikro kein „kleiner Mirko“; das ist alles nur Show, Übertreibung, Verstellung für den Zweck – nunja – einen Beitrag für eine Anthologie zum Thema „Diplomschriftsteller im Beruf“ zu verfassen. Das soll, das kann man nicht so ernst nehmen. In einem kurzen Nachtrag zum Text verweist Mikro Wenig dann noch darauf, dass er auch etwas als Erwiderung zum Beitrag von Florian Kessler zu sagen gehabt hätte, dies aber nicht hier, sondern in seinem Online-Blog getan hat …

Der folgende Text ist anonym veröffentlicht – wie den biographischen Autoreninformationen am Schluss des Bandes zu entnehmen ist – vor allem, um den letzten Arbeitsgeber nicht Anlass zu geben, das ausstehende Arbeitszeugnis anders abzufassen. Das wirkt brisant: scheinbar gab es bei der vorletzten oder vorvorletzten Anstellung der Autorin einen Chef strombergischen Kalibers … Formell ist der Beitrag, der einer Zusammenstellung von Tagebucheinträgen ähnelt, anregend kompliziert gebaut. Ständig wird zeitlich vor und zurück-springend aus einem anderen Jahr von einem anderen Job berichtet, wobei anfangs zwei parallele „Karrieren“ zu existieren scheinen: die der Journalistin und die der Barkeeperin, die sich allerdings – so suggeriert zumindest der Textverlauf – sich nach „Umwegen“ über einen engagierten Regionaljournalismus erfolgreich zu einer herausgehobenen Tätigkeit im Bereich Lobby-Journalismus für Ernährungsfragen bzw. Pressesprecherin zusammenfinden. Sogar für eine Nebentätigkeit als selbstständige Autorin scheint die neueste – ideal verantwortungsreiche, super bezahlte zukünftige Stelle – Raum als auch wertschätzendes Verständnis zu bieten. Wäre nicht der erste – ebenfalls auf das Jahr 2013 datierte Abschnitt, der von einer Bore-Out motivierten Flucht in eine Wochenend-Barkeeper-Tätigkeit irgendwo auf einen 2000er Berg spricht, man könnte diese Erzählung als ein etwas windungsreiches, letztlich aber doch gelingendes Ankommen im Beruf lesen, mit einem zunehmenden Abschied und an den Rand-Drängens der Perspektive literarischer Autor zu sein. Aber – wie gesagt – wäre dieser Textanfang nicht, in dem neben dem Wunsch endlich die Diplomarbeit fertig zu bekommen (!) auch von einem eigentlichen Leben als Schriftstellerin die Rede ist, man würde der Erfolgsgeschichte fast verfallen. Was für eine wunderbar-doppelbödige und ehrliche Erzählung, die auch selbstkritische Offenbarungen von arrogant-karrieristischen Überlegenheitsgefühlen gegenüber Minderarbeitern mit geringerem Engagement und journalistischem Anspruch nicht ausspart!

Kontrastiert wird dieser – irgendwie tiefergehende – Text durch den nachfolgenden – ich sag mal – lustig-absurd-wirkungsorientierten Poetry-Slam-Beitrag von Lino Wirag mit dem Titel „Rosette, Karlheinze und Adonius hotten zu DJ Retarded Tetris“, der mit dem eigentlich alles sagenden Klammertext abbricht: „[endet hier wegen Unsinns]“ (S. 90 im PDF)

Wiederum ernsthafter, an einer ehrlich-literarischen Aufarbeitung einer Lebensgeschichte (womöglich der eigenen) interessiert, zeigt sich der anschließende Text von Alexandra Müller, der, jeweils unterbrochen bzw. kommentiert von „Fiktiven Gesprächen am Gartenzaun“ zwischen der Mutter und einer Nachbarin, vom Berufseintritt einer Schreibschulabsolventin berichtet, die sich immer wieder hadernd und neu entdeckend schließlich für etwas „richtiges“ – ein Radio-Volontariat – entschieden hat; eine Jobbeschreibung, die die Mutter endlich auch über den Gartenzaun hinweg freudig-offensiv kommunizieren kann.

Der folgende Text von Johannes Schneider (Das Lesen der anderen. Fünf Lektionen) ist vergleichsweise analytisch angelegt: Das Schriftstellerstudium wird als Gelegenheit nicht nur der Übung, sondern auch der Selbstvergewisserung, des Verlusts von Illusionen und schöntuenden Manierismen beschrieben. Positiv hervorgehoben wirddie eigene Ziel- und Rollenfindung als nicht-schriftstellernder Journalist, der als Ex-Schreibschulstudent besonders um die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Verbesserung von Texten weiß.

Auch Jan Fischer, der Herausgeber des Bandes, trägt eine Lebensgeschichte bei – die seines Studienabbruchs, weil es ja auch ohne Abschluss mit dem bezahlten Multifunktionsschreiben gut zu laufen schien und alles in allem immer noch läuft – mit Nacht-Job im 4-Sterne-Hotel als Barkeeper und gelegentlichen Speisezettelbeschränkungen auf Nudeln: der (!) Roman ist fertig, renommierte Zeitschriften drucken weiter seine Beiträge und als mit weiteren Aktivitäten Luftgitarrist und Rampensau scheint er auch zeitlich gut ausgelastet. Kurz: Hier lebt scheinbar einer den Traum der künstlerischen Selbstständigkeit – keineswegs immer überglücklich und sorgenfrei, aber mehr darf man wohl kaum erwarten bei real gelebten Träumen. Jan Fischer scheint das zu ahnen.

Dann folgt der Beitrag von Florian Kessler, über den hier nichts mehr gesagt sein soll: Man kennt ihn ja schon aus der Zeit.

Martin Spieß (Wohlan, wenn es euer Begehr ist) kann von einem noch erfolgreicheren, weil finanziell weitaus gesicherteren und leichteren Eintritt in eine Künstlerexistenz berichten: Die biografische Nische einer Nerd-Existenz als Rollenspieler habe ihn quasi anstrengungslos-explosionsartig zu lukrativen Auftrittsmöglichkeiten als Bänkelsänger auf Mittelaltermärkten und schließlich zu einer Liedermacher-Karriere geführt, die er und sein Mitstreiter im Duo nun in Richtung auch aktuell-politischer Songs fortführen werden. Der als Teaser abgedruckte Liedtext vom kleinen Nazi kann – nun ja – höhere lyrisch-formale Ansprüche, was Rhythmus und Reime angeht, nicht wirklich befriedigen. Aber auch als Beitrag zum Antifaschismus verbleibt der Text auf der Ebene von Stereotypen und Ressentiments, die allein deswegen beklatscht und belacht werden dürften, weil der Feind, der Unhold – der Nazi – sowieso verachtenswert, böse und dumm ist. Natürlich darf es in einem freiheitlichen Kulturbetrieb auch das geben, und sicher ist es nett, wenn es sich davon leben lässt, aber …

Jan Kuhlbrodt kommt nun nicht aus Hildesheim, sondern vom Leipziger Literaturinstitut und auch ansonsten, das betont er, aus dem Osten. Das führe zu einer grundsätzlich anderen, gebrocheneren Perspektive auf intellektuelle Milieus, deren anstrebenswert sozial höhere Stellung mit einer DDR-Biographie als weniger selbstverständlich erscheint. „Schriftsteller sein“, so summiert er am Ende seiner Laufbahnerzählung schließlich (S. 134 im PDF), „sei ein Privileg.“, also – ich interpretiere – etwas Unverdientes, ein Geschenk der Gesellschaft, die eine solche Existenz zulässt, toleriert oder sogar wertschätzt, aber eben nicht auch noch dafür sorgt, das Schriftsteller ein gutes Auskommen und keine Sorgen haben. Sich für ein Leben als Schriftsteller zu entscheiden, dies bedeute – ich übertreibe, die mir als Ebenfalls-Ossi sehr entsprechende Analyse Kuhlbrodts – eine Freiheit des (Sozial-) Schmarotzertums: Irgendwie, irgendwann, irgendwelche Texte zu verfassen, die dann andere Leute – Leute mit Anstellung und Verantwortung – als Bücher drucken und verbreiten. Statt einer sorgenvollen Beschwerde über eine prekär-unsichere Einkommensperspektive für Schriftsteller plädiert Kuhlbrodt so – ossihaft-radikalprotestantisch – für mehr Genügsamkeit und Demut der sogenannten Geisteseliten und für mehr Achtung für die Menschen, die Werktätigen, die mit ihrer Hände Arbeit etwas Nützliches tun.

Der letzte Beitrag des Bandes stammt von Tilman Strasser und hat die Form eines Gesprächsprotokolls beim Vorsprechen zum Schriftstellerstudium. Wiedergegeben sind lediglich die monologisierend-belehrenden Parts des Vorsitzenden der Auswahlkommission, der auf der Sachebene dem namenslosen Kandidaten die Schwierigkeiten einer Schriftstellerlaufbahn erläutern möchte, sich dabei mit ihm auf der Ebene der Du-Botschaft bzw. des Appells verheddernd – dass diese Hinweise keineswegs (oder doch) als Bedenken hinsichtlich der Eignung und des Talents des Kandidaten und Abraten gemeint seien … Das liest sich flüssig und unterhaltsam und enthält kommunikationspsychologisch interpretiert, die schöne Pointe, dass es angehenden Schriftstellern wohl unausweichlich schwer fällt, die Informationen über einen schwierigen Berufseinstieg wahr und ernst zu nehmen, weil dies mit ihrem selbstbezogenen Hoffen und Fragen konfligiert als Schriftsteller eine Entdeckung, eine Ausnahmeerscheinung zu sein …

Insgesamt gesehen ist der vorliegende Band ein bunter Strauß von Texten, die wohl alle – irgendwie – zum selben Thema geschrieben wurden, aber in ihrer Form von Lebensbericht, Farce bis Essay und von ihrem literarischen, journalistischen und inhaltlichen Anspruch derart divergieren, dass man sich an der Farbenvielfalt kaum freuen kann. Für jemand der humoristische Entspannung sucht, werden die ernst-ehrlichen Reflektionen und analytischen Beiträge stören. Und umgekehrt sind für mich, der ich etwas substanziell-systematisch Gehaltvolles zum titelgebenden Thema des Bandes (Diplomautoren im Beruf) erwartet hatte, die vielen belanglosen und insbesondere die oberflächlich-selbstdarstellerischen Beiträge schlicht ein Tort, instrumentell gesprochen: Unfreiwillig versäumte Lebenszeit.

Insofern könnte man positiv summieren: In diesem Band ist für jeden etwas dabei, der mal kurzweilig und/oder analytisch angetippt etwas als und über das Leben von Schreibschulabsolventen erfahren möchte. Wer allerdings fortführend-vertiefende Beiträge zur Kessler-Debatte sucht, wird ebenso enttäuscht, wie derjenige der an das Buch mit einem berufssoziologischen Erkenntnisinteresse herantrat. Letzteres ist umso enttäuschender als es vor allem die Eingegrenztheit der Perspektive der hier versammelten Diplomautoren (drei davon sogar noch ohne Diplom) dokumentiert. Solche ungeordnete Übergänge in Anstellungsverhältnisse nach dem Studium, wie sie hier berichtet werden, oder solcherart ungesichert-prekären Selbstständigkeits-Existenzen sind aus einer berufssoziologischen Perspektive keineswegs untypisch für geistes- und sozialwissenschaftliche Studiengänge (ohne die klassischen Professionen Jurist, Mediziner, Theologe und – eingeschränkt – Lehrer), die eben auf unklar-diffuse Berufsfelder vorbereiten. Da kenne ich zu meinem eigenen Ex-Studiengang, dem Diplompädagogen, selbst ausreichend vielfältige Publikationen, die die Normalität längerer Übergangs- und praxisbezogener Nachqualifizierungsphasen nach dem Studienabschluss dokumentieren – dabei aber systematisch darstellend, dass spätestens nach fünf Jahren die Berufseinmündung in einen gut bezahlten Dauerjob funktioniert habe (trotz aller persönlichen Sorgen und Krisen der Absolventen zwischendurch). Dies scheint nun, so lese ich die im vorliegenden Buch versammelten Texte, für Diplomschriftsteller – die doch alles in allem eher Kulturjournalisten zu sein scheinen – ganz ähnlich zu gelten. Nur sagen müsste es man ihnen mal, so dass sie solche selbstbezogenen Such- und Vergewisserungsbücher wie dieses nicht mehr vorlegen müssten.

Ärgerlich stimmt mich an dem Buch schließlich das Fehlen eines Vorworts oder einer Handreichung für die Leserinnen und Leser, die mir geholfen hätten, das eigentliche – untheoretisch-unambitionierte – Anliegen (Wir schreiben einfach mal über uns) und die Struktur des Bandes zu erschließen. Mir erscheint er letztlich wie eine willkürliche Sammlung verfügbarer Beiträge, geordnet allein durch das Anliegen für ein abwechslungsvolles Programm zu sorgen, so dass immer ein ernster auf einen lustigen und ein literarischer auf einen essayistischen Text folgen muss …

Schließlich noch eines zum Schluss – ein autobiographischer Nachtrag: Für mich was dieses Buch mein erstes e-book. Nur als solches ist es im Verlag mikrotext erhältlich. Insofern habe ich es auch dazu genutzt, für mich diese Lektüre- und Publikationsform zu erproben. Hier mein Erfahrungsbericht: Dass ich mir zum Lesen einen E-Book-Reader auf mein Smartphone installiert musste, erwies sich als kosten- und problemlos – selbst bei meinen nicht mehr allzu aktuellen und damit nicht allzu leistungsfähigen Modell. Ungünstig war es aber, das Buch auf dem Smartphone als PDF betrachten zu wollen. Die ständige Notwendigkeit zu Zoomen und zu Schieben war viel zu umständlich und nervig. Praktikabler war, das Buch im EPub-Format zu lesen. Dieses Dokument-Format erlaubt es dem Reader, die Zeilen- und Seitenumbrüche des Textes an das – in meinem Fall recht kleine Display – des Smartphones anzupassen, so dass ein Lesen bei angenehmer Schriftgröße möglich war. Das besonders Tolle bei diesem Leseerlebnis war für mich – es hat nichts mit dem Buch, sondern eher mit dem Format zu tun –, dass ich, regelmäßig viel früher wach als meine Partnerin, endlich sorglos schon im morgendlichen Halbdunkel geruhsam im Bett lesen konnte ohne eine Lampe anzumachen oder durch Seitengeblätter hässliche Störgeräusche zu erzeugen. Dass erleuchtete Display des Smartphones vor Augen, locker fingerstreichend die nächsten Textteile herbeirufend, hatte ich sehr angenehme Morgenstunden. Hätte das hier besprochene Test-E-Büchlein meinen Erwartungen entsprochen, ich wäre vollends beglückt gewesen.

Jan Fischer & Nikola Richter (Hrsg.). Irgendwas mit Schreiben: Diplomautoren im Beruf. ‎mikrotext: Berlin 2014.