(NACHTRAG: Inzwischen ist die Plattform fixpoetry als Gründen mangelnder Finanzierung offline gegangen; die dort ursprünglich im November 2014 veröffentlichte Rezension wird deshalb hier im Beitrag eingefügt)
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Zwei auf einen Streich – Björn Kuhligk und Maarten Inghels bei hochroth
Das vergleichende Besprechen von Lyrikbänden hat den Vorteil, dass das eigene Behagen und Unbehagen an einzelnen Texten besser illustrierbar wird. Was in dem einen Gedicht als misslungen erscheint, kann durch den gelungenen anderen Versuch, die andere Stimme klarer benannt werden – als durch den bloßen Verweis auf (notgedrungen) abstrakte Kategorien und allgemeine poetologische Beurteilungsmaßstäbe. Hier also nun: Björn Kuhligk und Maarten Inghels im Kontrast.
Da es mir – als dem Literaturbetrieb fernstehender Hobbyrezensent – zuweilen schwer fällt, angesichts der bloßen Autorennamen und Titelnennungen in Neuerscheinungslisten, im Voraus abzusehen, welche der neuen lyrischen Stimmen mich interessieren / begeistern könnten, lasse ich mir bisweilen ein Überraschungspaket zusenden. Im letzten derartigen Brief von fixpoetry waren gleich zwei … Heftchen aus der hochroth-Lyrikreihe: der 2013 erschienene deutsch-litauische Band „Ich hab den Tag zerschnitten“ des Berliner Lyrikers Björn Kuhligk und der Band „ Es gibt keine bellende Hunde mehr“ des niederländischen Dichters Maarten Inghels aus demselben Jahr.
Schon bei meiner zuvorigen (erstmaligen) Begegnung mit dem
Veröffentlichungskonzept des hochroth-Verlages war ich begeistert: vom
klar-minimalistischen Design, vom schwarzen, seitlich beschnittenen Umschlag
mit einer runden Ausstanzung, von der (wie ich online nachlas) manuellen
Herstellung der Hefte, vom A5-Format und vor allem vom geringen Umfang.
Für Gedichtveröffentlichungen – so scheint es mir – sind 20
bis 30 Seiten genau richtig … Lyrik lässt sich nicht auf Masse, seriell (hinter
einander weg) lesen. Jeder Text verlangt zu sehr und zu berechtigt ein
eigenständig-vereinzeltes Wahrnehmen, ein langes tiefes Durchatmen. Da stört,
da irritiert eine Sammlung von über 100 Seiten: Das Gefühl – die Gewissheit –
nicht allen Texten gleichermaßen gerecht werden zu können, sich im Lesen bald
zu Erschöpfen prägt/gefährdet die Lektüre von vornherein. In dieser Hinsicht
scheinen die schmalen Gedichtbände im hochroth-Verlag wie eine Befreiung, eine
wohlwollende Einladung sich im Alltag öfter mal lyrisch begleiten zu lassen, nicht
zuletzt motiviert durch den kleinen Preis und das handliche Format.
Dass mir nun gleich zwei dieser Hefte auf dem Tisch landeten,
erwies sich dann auch in einer anderen Hinsicht als Glücksfall: Ließ sich doch
das schnell und intensiv auftretende Unbehagen mit den Versen des Einen
auffangen und kompensieren durch die Freude mit den Gedichten des Anderen. Und
vor allem, so schien mir plötzlich, würde mein Unbehagen plötzlich greifbarer,
beweisbarer und nachvollziehbarer im Kontrast zur parallelen Begeisterung (die
dann implizit, auch verdeutlichen würde, dass ich nicht per se Unmut äußere und
Verdammung, sondern durchaus – unter bestimmten, benennbaren Bedingungen – des
Lobes fähig bin).
Also offen und kurz gesagt: Während mich das Bändchen von
Björn Kuhligk schnell zum Weglegen reizte, lud mich das Heft von Maarten
Inghels je länger, je mehr zum Verweilen und Vertiefen ein (und füllte mich
zugleich mit einem einzelnen Text derart aus und an, dass an ein sofortiges
Weiterlesen kaum zu denken war). Kuhligks Gedichte erschienen mir flach und
stereotyp, bisweilen sogar lyrisch falsch, wo sich mir in Maartens Texten
glaubhaft einzigartige Situationen und Eindrücke entfalteten, um zugleich etwas
Bewegend-Überraschend-Allgemeines anzusprechen.
Mein Unbehagen an Kuhligks Poetik dagegen nährte sich fast an
jedem der elf (jeweils auch auf Litauisch abgedruckten) Gedichte. Die Verse,
Stophen und Zeilenumbrüche blieben für mich oft nachklanglos und leer – vor
allem wegen der vielen abgedroschene Bilder ohne erkennbare ironische Brechung
wie z.B. im Titel gegebenden Gedicht
„Ich habe den Tag zerschnitten“. Das sind (wiedermal) „meine Lippen /
zwei Pilger“ und „deine Füße / die verspielten Vögel“ und deuten so (für mich) statt
auf ein Erleben auf eine ausgedacht-erwartungsbedienendes Wortkneten. Besondern
fern, falsch und verräterisch erschien mir in selben Gedicht die Wahrnehmung
(durch die Satzkonstruktion etwas verrätselt) „und zwei Augen deine Brüste /
mit denen du mich liest“. Erkennbar wurde so für mich, wo DER SPRECHER dieser
Verse seine Aufmerksamkeit und seine Augen hat und wie abgerückt er liegen
muss, um die zwei Brustwarzen zugleich in den Blick zu nehmen (bzw. von ihnen
gelesen zu werden).
Auch andere Gedichte demonstrieren, dass die Frauen (die Anderen) für das Ich der Texte eher Objekt als Subjekt sind („die Frau wärmt sich vor“, S. 14). Insbesondere am Gedicht über „Die sieben Geliebten“ lässt sich dies illustrieren.
DIE SIEBEN GELIEBTEN
// Die erste liegt / mir auf dem Schoß / vor blutigen Tagen // die zweite geht
mir / stotternd aus dem Sinn / und bündelt die Jahre // die dritte ist ein
Garten / entzündet von Vogelschreien // die vierte gibt es nicht // die fünfte
sagt Liebe / und ich glaube es nicht // die sechste trägt / Kusskantaten auf
der Brust // die siebte geht / und zerstört die Woche //
Der Text beinhaltet wenig mehr als eine Liste von Frauen (die Doppeldeutigkeit zu Wochentagen scheint mir allzu belanglos und nicht weit zu tragen), die da jemand hatte, als Anlass für eigene Lust und eigenes Leid und poetische Reflektionen darüber, die aber nicht durchgeführt, nur zweizeilig angedeutet werden, und vor allem keine Entwicklung / Veränderung des Ichs implizieren (warum er zum Beispiel solche Berge an Verflossenen hinterlässt).
Generell ist mein Problem mit Kuhligks Texten, dass ich ihm zwar glaube, dass das, was er dort beschreibt, ein reales Erlebnis oder eine gewesene Empfindung sein kann. Doch das lebt nicht, das atmet sich nicht für mich aus den Texten; es hat kein Geheimnis. So mag es die Russin aus dem Gedicht „Sie macht am liebsten Pasta“ wirklich geben, doch mehr als eine – unterschwellig furchtbar stereotype – Skizze über diese, eine Person kann ich nicht erkennen: nichts was auf etwas Allgemeines verweist in diesem besonderen Fall.
Wie anders, wie nährend, wie irritierend und beglückend sind dagegen die Themen und Verse von Maarten Inghels. Insbesondere das dreiteilige Gedicht „Ein Foto wurde gefunden, auf dem du lachst“ hat mich schnell für diesen Autoren eingenommen. Erst nach und nach enthüllt sich hier die Situation einer Totenwache, was dem sinierend-fragenden Monolog des lyrischen Ichs erst einmal ein beinahe irreales Schweben ermöglicht, in dem ich als Leser meine eigenen Anschlüsse / Assoziationen einpflege, was hier sein/passieren könnte – eine selbst hinzugesetzter Gegenhorizont der Textinterpretation, der durch die zunehmende (nicht als Clou oder düstere Pointe eingeführte) Verdeutlichung der Sprechersituation nicht verloren geht, sondern als weitere Ebene dem Text eingewoben bleibt. Dass so etwas gelingt, scheint mir eine besondere Fähigkeit des Autoren. Seine Verse (be-)rühren; sind auch ohne sofort erkennbare reale Verortung in mir (philosophisch interessierten, eher verkopften) Leser anschlussfähig; Wurzeln irgendwie in etwas von mir geteiltem, archetypischem. Zur besseren Erläuterung vielleicht: der Einstieg (die erste vier Verse von Teil I) in das gerade erwähnte mehrseitige Gedicht.
Wir können sagen, dass du immer noch / deinen Namen kennst. Ich vergesse / schon mal mein Alter, doch immer // kommt es in Schüben zu Bewusstsein: so alt / einerseits und mein Kopf weiß andererseits, / dass jeder mal länger zum Nachdenken // braucht. Das du so leben willst / in diesem furchtbaren Licht, wie ein Geist, / sagen mache. Doch ich meine, du seist eine // Puppe, die noch da ist, zu der gesagt wird: / Der Wahn des Tages, Namen, ein Vorfall im Bus – / aber immer kurz und schnell ein Kuss. //
Schon angesichts der einzelnen Verszeilen, der tieferweisenden Umbrüche, des sich schrittweise entfaltenden Bedeutungs-Kosmos könnte ich Schwärmen – wenn eine solche Behauptung von Leichtigkeit nicht grundlegend im Widerspruch stünde zum fesselnd-gedankenschweren Gang und Sog der (von Janet Blanken ins Deutsche übertragenen) Verse, die sich – und das ist als Qualitätsmerkmal gemeint – nicht auf einen einfachen Nenner bringen lassen. Man könnte sogar sagen, die Lyrik von Maarten Inghels ist derart dicht, dass die in dem hochroth-Bändchen versammelten vierzehn Texte fast zu viel sind, die Gefahr über die Begeisterung für den Einen, die Würdigung des anderen zu vernachlässigen schon zu groß …
Der Kontrast zu den Gedichten von Björn Kuhligks kann kaum
größer sein (hier hätte ich mir letztlich noch mehr Texte gewünscht, in der
Hoffnung auf eine besondere Nuance oder Entdeckung). Die Aufklärung dieser irgendwie
fundamentalen Differenz beider Lyriker steckt für mich in einem weiteren
Gedicht von Maarten Inghels, das als erster Text den hochroth-Band
programmatisch einleitet, und den ich mir auf Kuhligksche Art gefühlt und
formuliert zukünftig wünschen würde.
ACHTSAM // Der Dichter sollte immer darauf achten, / vor allem zärtlich zu sein. / Täglich für sie aus dem Himmel fallen wollen, / dafür sorgen, dass der Jazz seine Muskeln weniger stramm macht. // Er sollte immer darauf achten, dass / es ausreichend Ablenkung für / unser Herz gibt, wir die Verse des Dichters / noch in das Ohr einer Frau flüstern können. // Er sollte immer darauf achten, / manchmal schwach zu sein, / damit der Wind es von seinem Gehör gewinnt, ihm / Sätze einflüstert, womit er einen Körper // um seinen Finger baut. / Wonach der Dichter sagen kann: Oh, umarme mich, / so bald bin ich noch nicht vorbei.//
Maarten Inghels: Es gibt keine bellenden Hunde mehr. Aus dem Niederländischen von Janet Blanken. Tübingen: hochroth-Verlag, 2013, 28 Seiten, ISBN 978-3-902871-33-6, 6,00 €, http://www.hochroth.de/3124/es-gibt-keine-bellenden-hunde-mehr/
Björn Kuhligk: Ich habe den Tag zerschnitten / Es sagriezu dienu. Deutsch/Lettisch; übersetzt von Amanda Aizpuriete. Riga: hochroth-Verlag, 2013, 23 Seiten, ISBN: 978-9934-8383-0-9, 6,00 €, http://www.hochroth.de/3151/bjorn-kuhligk-poesietransfer/