Wiederveröffentlicht: Rezension zu Ines Geipel und Joachim Walther "Gesperrte Ablage"

 (NACHTRAG: Inzwischen ist die Plattform fixpoetry als Gründen mangelnder Finanzierung offline gegangen; die dort ursprünglich im Februar 2016 veröffentlichte Rezension wird deshalb hier im Beitrag eingefügt)





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Falsche Leben

Ines Geipel und Joachim Walther berichten über in der DDR verbotene und verkrüppelte literarische Stimmen

Es ist eine erschreckende Sammlung, die Ines Geipel und Joachim Walther hier vorlegen: an die hundert Einzelschicksale aus vierzig Jahren DDR, die eines gemeinsam haben – ihre literarischen Ambitionen wurden in der DDR und durch die DDR (ihre Staatsorgane) verfolgt, beschnitten, bestraft und gar nicht selten abgewürgt / getötet. 430 Seiten hat dieses im strengen Sinne quälende Buch. Der geschichtlichen Detaildarstellung voran stehen zwei Essays der beiden Autoren. Ines Geipel ordnet anlässlich einer neuerlichen Verfilmung den Roman „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz als verlogenen, geschichtsklitternden Buchenwald-Mythos ein, der die Verbrechen der KPD-Kapos und späteren DDR-Funktionäre übertünchen sollte und Joachim Walther äußert sich zusammenfassend zum Programm des Archivs unterdrückter Literatur der DDR, das er und Geipel seit 2001 zusammengetragen haben. Dann folgt auf ca. 270 Seiten eine Chronik des Schreckens: eine Darstellung des andauernden Verfolgungswahns und der Unbarmherzigkeit des DDR-Regimes gegenüber stärker abweichenden, hinterfragenden oder den vorgegebenen realistisch-sozialistischen Rahmen verlassenden Autorinnen und Autoren. Konzentriert auf konkrete Schickale einzelner Personen oder lokaler Literaturgruppen durchschreitet die Darstellung neben der Nachkriegszeit alle vier Jahrzehnte der DDR. Ines Geipel schildet dabei die ersten zwanzig bzw. fünfundzwanzig Jahre bis zum Ende der 1960er Jahre, Joachim Walther dann die Jahre von 1970 bis 1989. Was dabei deutlich und insbesondere von Joachim Walther auch explizit so ausgesagt wird, ist, dass die engmaschige und engherzige staatliche Verfolgung unpassender literarischer Stimmen nicht nur ein Phänomen der stalinistischen Anfangsjahre war, sondern sich bis in die Endphase des zweiten deutschen Staates durchzog. Verändert haben sich – tendenziell – die staatlichen Anlässe und Formen der Intervention sowie die Härte der Bestrafung, wenngleich der Grundtatbestand der politischen Verfolgung und der staatlichen – insbesondere geheimdienstlichen – Willkür uneingeschränkt erhalten blieb. Am Ende des Bandes findet sich neben einem Personenregister und einem Literaturverzeichnis, das vor allem die ebenfalls von Geipel und Walther bei der Büchergilde Gutenberg herausgegebenen Bände der Verschwiegenen Bibliothek aufführt, eine Gesamtaufstellung der im Archiv unterdrückter Literatur in der DDR erfassten Autorinnen und Autoren mit ihren Biographien, den im Archiv einsehbaren Texten  und ihren sonstigen Veröffentlichungen.

Die Art der Darstellung und das Anliegen des Bandes verbieten geradezu eine weitergehende Kommentierung und Einordnung. Persönliche Schicksale sind gerade wenn es sich um Leidensgeschichten handelt, per se und eingeschränkt schrecklich, unzumutbar: ein Skandal. Ihre Sammlung als sich – strukturell ähnlich – immer wieder wiederholende Ereignisse verweist auf menschenverachtende Muster, gewalttätige Routinen oder sogar verbrecherische Strukturen, die die DDR prägten. Ob und wie verallgemeinerbar, gesetzmäßig und unabwendbar, nicht nur an bestimmte historische Konstellationen und Personen gebunden, diese brutale, zerstörerische staatliche Praxis zu nennen ist, dass können Einzelfälle allerdings nicht aufklären. Auch wenn das Urteil der beiden Autoren des Bandes eindeutig ist: Für sie bedeuten all die sichtlich zerstörten Leben den moralischen Bankrott des gesamten sozialistischen bzw. kommunistischen Projekts.

Insbesondere Joachim Walther ist bei dieser Verurteilung ausgesprochen scharf und deutlich. Sie ist in seiner Nacherzählung der Unterdrückungsgeschichte literarischer Stimmen seit den 1970er Jahren ständig präsent als mitlaufender und sich steigernder Kommentar. Genau dies schwächt aber auch die Darstellung – Walther deutet viel stärker als zu zeigen. Er hat, dass wird deutlich, von vornherein eine Position und muss diese, so als würde er den Fallgeschichten und dem Urteil der Leserinnen und Leser nicht völlig vertrauen, immer wieder erklärend und zusammenfassend einbringen.

Ganz anders als Ines Geipel, die in ihrer Schilderung der ersten zwanzig DDR-Jahre sprichwörtlich gefangennehmende Lebensgeschichten arrangiert und vorführt: das Leiden, die Verkrüppelung nicht nur benennt und faktenmäßig aufführt, sondern in geradezu lyrisch zu nennenden Wortkaskaden als tragisches Schicksal greifbar macht, das man niemanden, wirklich niemanden wünschen würde. Das ist stellenweise suggestiv und – insbesondere was das Argumentieren mit rhetorischen Fragen angeht – manchmal auch manipulativ (nicht mehr wissenschaftlich neutral): aber im Sinne des sichtlich verfolgten Ziels – betroffen zu machen, das DDR-Regime anzuklagen, es zu verdammen – auf jeden Fall effektiver.

Dabei gelingt es Geipel auch, dem Leser kräftige Eindrücke davon zu vermitteln, das hier immer wieder besondere literarischen Stimmen kaputt gemacht wurden – ihre Eigentümlichkeit und Individualität zu betonen, so dass ihr staatlich verursachtes Verkümmern als Verlust nachfühlbar wird. Walther hingegen interessiert sich – zumindest erweckt seine Darstellung den Eindruck – eher für die politische Positionierung, den Dissidentenstatus der verfolgten Autorinnen und Autoren und weniger für ihre eigentümliche (zerbrochene, verhinderte) literarische Stimme. Statt emphatisch zu schildern, bemüht er lediglich Autorenreferenzen oder eigene (analytische) Wertungen, dass Gabrielle Stötzer beispielsweise viel emanzipierter und feministischer sei als Christa Wolf. Oder er referiert über Inhalte und Themen (z.B. seitenlang über die Einzeltitel und Einzelteile des Fragmentromans von Thomas Körner), statt – wie Geipel – den eigentümlichen Ton, die Poetologie der Autorinnen und Autoren herauszuarbeiten. So fällt es teilweise schwer eine innere Beziehung zu den von Walther dargestellten Literaten herzustellen (also ihre besondere Tragik mitzufüllen, nicht nur die Tragik und Verwerflichkeit jeglicher politischen Verfolgung) – insbesondere wenn die exemplarisch abgedruckten Texte entweder wenig zugänglich /spröde daher kommen (wie zum Bespiel im Fall von Thomas Körner) oder literarisch nicht recht überzeugen. Merkbar wird dies, wenn die widergegebenen Autorentexte einmal auch für sich stehen können (aus sich selbst heraus Kraft haben), wie im Falle der Gedichte von Radjo Monk.

Insofern fallen die beiden jeweils von Geipel und Walther verfasste Textteile deutlich auseinander: gibt es – stereotypisierend gesprochen – eine eher weibliche und männliche Seite der Geschichtsdarstellung, die man sich alles in allem stärker verbunden, weniger kontrastierend gewünscht hätte. Unabhängig davon ist das Buch zu würdigen als eine fordernde – insistierende, bisweilen etwas inquisitorische – Lektüre (insbesondere wenn es, wie den Rezensenten, zur Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und den zum Glück nicht mehr erlebten Verfolgung einlädt). Man kann, das ist Verdienst dieses Bandes als auch des dahinter stehenden langjährigen Forschungsprojekts, nun nicht mehr nicht wissen, wie schlimm, wie eng es war und werden konnte in der DDR gerade für Menschen, die sich zum literarischen Schreiben gerufen fühlen.

Ines Geipel / Joachim Walther (2015). Gesperrte Ablage. Unterdrückte Literaturgeschichte in Ostdeutschland 1945 – 1989. Düsseldorf: Lilienfeld Verlag. 430 S., ISBN 978-3-940357-50-2, 24,90 €.