Neue Rezension bei Fixpoetry: Janin Wölke

Gelesen und besprochen: der bei hochroth erschienene Band "WAS PASSIERT WIRKLICH, WENN WIR STOLPERN?" von Janin Wölke.  Hier der Link zum Text auf fixpoetry.com: "Wiederholt tiefe Momente".

Um die besprochenen Texte von der Autorin vorgetragen anzuhören, sei das Video vom Open Mike 2013 empfohlen - ab Minute 53.00 (wobei ich das eigene Lesen nach dem Textbild intensiver fand): http://www.openmikederblog.de/2013/11/09/janin-woelke/


============================

Wiederholt tiefe Momente

Soweit es sich mit einem so kleinen, handlichen – vom hochroth-Verlag sichtlich liebe- und anspruchsvoll (bibliophil) layoutet-hergestellt – 30-seitigen Büchlein überhaupt beurteilen lässt: Das lyrische Talent von Janin Wölke ist das fokussierte Hinschauen, dass Heranzoomen und Anpieksen zum Teil lapidarer, zum Teil aber auch doppelbödig-bewegender Details überwiegend apathisch-traurig gestimmter Großstadtansichten . Ihre lyrische Technik ist die der Collage: des Nebeneinanderstellens der einzelnen Blicke, der Schnappschüsse zu einer Panoramafahrt. Formal umgesetzt wird dies in freien Versen mit Kurzzeilen, wobei in der Mehrzahl der Texte die Zeilenumbrüche durch Querstriche lediglich annotiert (behauptet, aber nicht vollzogen) sind, so dass sich das bruchstückhaft-stotternde Reden mit einem (Dichte zeigenden) kompakten Textbild paart. Signalisiert durch wiederholte bzw. leicht variierte Redewendungen und ähnliche Zeilenanzahlen lassen sich immer wieder Strophen separieren – zeigen sich die Text getragen von einem liedhaften Kreiseln um einen Gedanken, einen Gesamt-Eindruck, ein Gefühl.

Besonders gelungen und eindrücklich tritt dieses Schauen, textliche Gestalten und Singen gleich im ersten Gedicht des Heftchens hervor, das hier stellvertretend wiedergegeben werden soll:
 
angekommen im sommer in der verlassenen stadt / spinnweben an den handtuchhaken
grüne schatten vor den flaschencontainern / verschieden große kinder spucken um die wette
auf dem parkplatz vor edeka / ein toter fetter igel im bordstein / ein totes kleines vögelchen
an der mauer im hof / ich weiß nicht mehr die worte meiner stadt / die namen der stationen
zwischen hier und da-allee
angekommen im sommer in der verlassenen stadt / vor den flaschencontainern sammeln sich
grüne schatten und kerne von obst / niemand weiß / wer sie sah die sehnsucht nach meer
oder nach weihnachten / unterschiedlich große kinder auf dem parkplatz / ein toter igel hier
ein vogel da / ein blauer strumpf auf der fahrbahn / ich bedauere sehr
die langeweile der stoffe
angekommen im sommer in der verlassenen stadt / ich höre nichts in der hitze / ich denke nach
über ihre Stille / leicht und halsbrecherisch ist sie / wie spinnweben oder abgeschnittenes haar
wir sind alle traurig mitten am tag / wir sind still und halsbrecherisch / als würde jemand
hinter uns herlaufen / mit einem überführungskennzeichen in der hand / und
wäre dann plötzlich weg

Allerdings: so wunderbar tief und anregend dieses Gedicht ist, beim Weiterlesen durch das Bändchen stellt sich doch eine gewisse Ermüdung ein. Allzu ähnlich sind sich die versammelten Texte thematisch und formal. Das Stilllebenhafte der Collagen wiederholt sich – lediglich die Jahreszeiten schreiten voran. Dem apathischen Sommer mit dem positiven Tupfer einer urlaubshaft anhebenden Liebe folgt die Eintrübung des Herbstes und ein sich einkapselnd-verfrorener Winter. Das angedeutet Kurzzeilige, langzeilig Verwobene, strophenförmig Kreiselnde des Sprechens erhält sich – nur drei der zweiundzwanzig Texte weichen im Textbild stärker ab, aber nicht im Ton und Gestus.
Manchmal – punktuell – schleichen sich bei der Lektüre sogar Zweifel ein, ob die präsentierten sprachlichen Bilder wirklich genau so gemeint sein könnten, wie sie dort stehen. Besonders hängt mir in diesem Sinne die Formulierung: "wir sind wie mit schwämmchen in farbe gedrückt" nach (im Text römisch I, S. 17, nach dem wunderbaren Auftakt: "wir sind nicht exakt"). Während sich – für mich – zuerst das Bild eines Kartoffeldrucks mit seinen blasig, ausfranzenden Rändern einstellt, spricht die Textzeile genau genommen vom Tunken eines Schwamms in Farbe (das eben keinen Abdruck hinterlässt, sondern die Druckfarbe lediglich einsaugt). Zudem ist hier die Rede davon, dass wir durch den Schwamm (nieder-)gedrückt würden, wir also mit dem Schwamm oder seinem Abdruck a) nicht identisch und b) von ihm (feindlich) übermannt werden. Assoziierend gelange ich so zur Vorstellung eines Däumlings oder Tintenfassmännlein, dem so etwas passieren kann. Wo aber dann der Zusammenhang oder auch die produktive Differenz zum dem voranstehenden Ausspruch "wir sind nicht exakt" sein sollte, vermochte sich mir beim besten Willen nicht zu erschließen.
So landete meine Lektüre nach einer anfänglichen Begeisterung bei einer zunehmenden Enttäuschung und wäre da nicht das plötzlich neue – unvermutet auftauchende – Thema der Mutterschaft (im Frühjahr, Seite 20 bis 23) gewesen, meine Gesamteinschätzung wäre negativ. Da aber kommt er noch, jener eine – tief gefühlte, vollkommen stimmige, überraschend wahre – Text, der für sich alleine ein ganzes Bändchen kostbar/wertvoll macht: mir irgendwie erstmals die richtigen Worte für etwas gibt, was ich wohl ahnte , aber in dieser Klarheit, dieser Eindeutigkeit bisher nicht fassen, besser noch nicht glauben konnte … der es ausspricht, der mich berührt, der mich begeistert über die gewählte Worte (Krepppapier!!!) juchzen, der mich „Danke“ sagen lässt. Hier ist er (von Seite 22):

jetzt ist das herz sanft / von allen seiten einnehmbar / ausklappbar
das gegenteil von igel / hat einen kleinen mund / zwei ohren / und mandarinenrotes haar
ist heiter / wie geburtstagsmorgen / herrlich / zirkus im kopf / girlanden
im bett und gelbes krepppapier / licht licht im ganzen körper
das herz ist so / ist jetzt / von allem leben einnehmbar / berührbar / spürbar
hat einen namen und zwei äuglich
ich halte dich ans fester / damit du ALLES siehst!

Janin Wölke: „was passiert wirklich, wenn wir stolpern? gedichte“. Berlin: hochroth Verlag, 2014, ISBN 978-3-902871-46-6, 30 Seiten, 6,00 €